Ethische Bewertung von Tierversuchen

Ethische Bewertung von Tierversuchen

Wenn es darum geht Tierversuche in der medizinischen, sowie in der Grundlagenforschung zu legitimieren, lässt die Deutsche Forschungsgemeinschaft nichts anbrennen und überlässt einer promovierten Philosophin das Argumentieren über die ethische Bewertung von Tierversuchen. Diese formuliert auch die ethischen Erwägungen in der Publikation der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema Tierversuche. Fakt ist aber, dass gerade diese Philosophin eine hochgradig ausgebildete PR-Beraterin des Pharmariesen Novartis ist, welche sich seit mehr als 12 Jahren mit Unternehmenskommunikation und PR-Beratung beschäftigt. Umgangssprachlich nennt sich das ‚Lobbyistin der Pharmaindustrie‘.

Aus Sicht Karin Blumers und damit der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen sich Tierversuche als gerechtfertigt im Sinne einer konsequentialistischen Abwägung erweisen: Viele Tierversuche hätten einen Nutzen für Mensch und Tier, der den Schaden für Tiere überwiegt. Wenn man sie nicht machen würde, würde man den sonst nutznießenden Menschen – das heißt den Patienten mit bisher noch nicht angemessen behandelbaren Krankheiten – den Nutzen vorenthalten. Kranke Menschen verdienten aber auf der Basis eines Solidaritätsprinzips unsere bestmögliche Hilfe. Wenn wir auf Tierversuche verzichteten, würden wir daher gegen diese Hilfspflichten verstoßen. Die ethische Legitimität von Tierversuchen könne dann im Einzelfall durch Güterabwägung beurteilt werden. Blumer gibt hier letztlich die Position des geltenden Tierschutzgesetzes zur „ethischen Vertretbarkeit“ von Tierversuchen wieder (§ 7, Absatz 3).

Dazu lässt sich Folgendes sagen:

1. Der Nutzen ist höchst zweifelhaft; und ebenso umstritten ist, ob der Nutzen nicht auch auf anderem Weg erreicht werden könnte, d. h. ohne Schaden. Wenn das so wäre, wäre die Abwägung hinfällig. Hierher gehört also die medizinische Diskussion über den Sinn von Tierversuchen.

So waren bereits rund 100 Impfstoffe gegen HIV im »Tiermodell« wirksam, jedoch keiner davon beim Menschen. Selbst wenn morgen auf der Basis von Tierversuchen ein wirksamer Impfstoff gegen HIV gefunden werden würde, so wäre das »Tiermodell« dennoch gescheitert, da der Vorhersagewert bei etwa 0,01 % liegen würde.

Die Wahrscheinlichkeit, dass aus in führenden Fachjournalen erschienenen Studien tierexperimenteller Grundlagenforschung ein neues Medikament entsteht, liegt bei 0,004 Prozent.

Einer Studie der FDA zufolge werden 92 % der im Tierversuch für sicher und wirksam befundenen neuen Substanzen nicht zugelassen. Denn in den anschließenden klinischen Phasen, in denen Arzneien erstmals am Menschen erprobt werden, stellt sich heraus, dass sie entweder nicht wirken oder schwerwiegende Nebenwirkungen haben.

2. Auch wenn man an den medizinischen Sinn glaubt, gilt: Nutzen und Schaden von Tierversuchen lassen sich faktisch nicht abwägen, da sich beide nicht hinreichend quantifizieren lassen. Kein Experiment rettet das Leben einer bestimmten Anzahl von Menschen oder lindert eine bestimmte Menge Schmerz. Man weiß faktisch nicht, wie groß der Beitrag ist. Das Leid der Tiere ist dagegen sicher. Wir müssen also einen ganz diffusen Nutzen gegen ein ganz konkretes Leid abwägen. Das könnte schon allein gegen die Versuche sprechen.

Außerdem ist völlig unklar, welches Leid oder welcher Schaden wie schwer wiegen sollte. Die Einführung von „Belastungskatalogen“ bei Tierversuchen sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass niemand bestimmen kann, wie viel z. B. das dreitätige erhebliche Leiden einer Ratte im Vergleich zum Leiden anderer Tiere „wiegt“, oder wie viele Tötungen von Tieren für eine Verbesserung der Lebensqualität einiger Menschen in Kauf zu nehmen wären. Diese Güter sperren sich gegen eine solche Abwägung.
Und in Anbetracht der Millionen von Tiere, die verbraucht werden, um bei einer einzigen Krankheit in der Forschung voranzukommen (in den vielen Schritten wie Entwicklung des Krankheitsmodells, Testen des Modells, Therapiemöglichkeiten usw.) ist auch alles andere als klar, in welche Richtung sich die Abwägungsschale neigen würde, wenn wir quantifizieren könnten. Wie vielen Menschen soll konkret durch die Affenversuche geholfen werden, und wie hoch würde man den Nutzen pro Mensch veranschlagen? Dann müsste man das mit der Anzahl der Affen und dem Schaden pro Affen gegenrechnen. Da man das wohl eher nicht vorführen kann, ist es irreführend, von einer solchen Abwägung zu sprechen.
Anzahl der Versuchstiere in Deutschland nach Forschungszweck 2011
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Anzahl der für wissenschaftliche Versuche verwendeten Tiere
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

3. Solche Abwägungen würden wir in Bezug auf Menschen nicht anstellen. Also z. B. würden wir keinen Menschen töten, um mit dessen Organen fünf andre Menschen zu retten. Warum nicht? Weil Menschen nicht in dieser Weise instrumentalisiert werden dürfen, weil man nicht Unschuldige für andere opfern darf. Wenn man dagegen bereit ist, Tiere so zu opfern, dann zeugt das von unbegründetem Speziesismus. Das Tierschutzgesetz folgt insofern dem Prinzip: Utilitarismus für Tiere, Kantianismus für Menschen. Warum Tiere einen solchen anderen und zweitklassigen moralischen Status haben sollten, obwohl sie doch in wesentlichen Eigenschaften so sind wie wir — bewusst, empfindungsfähig, individuell –, dafür liefert Blumer keinerlei Argumente.

Gerne wird unter Tierversuchsbefürwortern wie Karin Blumer und der Novartis AG damit argumentiert kranke Menschen zu heilen, und zur Minderung menschlichen Leidens auf der Welt beizutragen.

Wer Tierversuche durchführt, stellt sich selbst immer aktiv in das Spannungsverhältnis zweier Pflichten. Die eine, die positive, ist die Pflicht, eigenes Wissen und eigene Fähigkeiten zur Minderung menschlichen und tierischen Leids einzusetzen. Die negative Pflicht hingegen besteht darin, nicht selbst anderen Wesen vermeidbares Leid zuzufügen.

Jedoch sieht die Praxis in einer liberalen Marktwirtschaft in Zeiten des Kapitalismus oft anders aus:

Patentklage des Pharmariesen Novartis bedroht medizinische Versorgung in Entwicklungsländern.

Hätte Novartis mit seiner Patentklage in Indien Erfolg gehabt, so die Befürchtung, hätten zunächst billige Krebs-Medikamente vom Markt verschwinden müssen.

Bayer scheitert mit Klage gegen Generika in Indien

In der Realität klagen immer wieder riesige Pharmakonzerne gegen Generikahersteller im Ausland, die günstigere Produkte für die Heilung der ärmeren Bevölkerung herstellen. Die Pharmariesen wollen also lebenserhaltene Produkte aufgrund von geistigen Eigentumsrechten vorenthalten. Da kommt es einem schon ein wenig suspekt und heuchlerisch vor, wenn man auf der einen Seite mit der moralischen Keule der Heilung menschlicher Krankheiten argumentiert, auf der anderen Seite aber aus Profitgründen ärmeren Bevölkerungsschichten diese Medikamente vorenthalten möchte.

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